40 Historiker saßen am Kehlstein fest

26.05.2008

Exkursion der Technikgeschichte mit technischem Problem an historischem Ort

Die wissenschaftliche Jahrestagung der "Gesellschaft für Technikgeschichte e.V. (GTG)", die von Freitag bis Sonntag an der Universität Salzburg stattfand, hätte sich Ihre diesjährige Exkursion sicher ein wenig einfacher vorgestellt. Für knapp die Hälfte der insgesamt 80 Teilnehmer aus den USA, Dänemark, Belgien, der Schweiz, Österreich und Deutschland stand am Samstagnachmittag eine Besichtigung des 1834 Meter hoch gelegenen Kehlsteinhauses und der Dokumentation Obersalzberg auf dem Programm.

"Zunächst lief alles nach Plan", berichtet Exkursionsleiter Florian Beierl von der Universität Salzburg, der mit der Gruppe kurz vor 16 Uhr im Kehlsteinhaus eintraf, oben stand eine große Warteschlange rund um das Haus, der Aufzug war im Dauerbetrieb, um die vielen Tagestouristen wieder zu den Bussen zu bringen. Wegen des hohen Schnees war auf der Terrasse nur wenig Platz und der Fußweg zum Busplateau war wegen der Schneemassen gesperrt. Gegen 16.05 Uhr ertönte durch die Lautsprecheranlage plötzlich ein Gongsignal mit immergleicher Durchsage, ein "Herr Brandmaier" solle sich im Kehlsteinhaus melden. Unentwegt wiederholte sich diese Ansage, die - wie später bekannt wurde - einen Feueralarm bedeutete und sich nicht mehr abstellen ließ. Das ahnungslose Publikum reagierte auf die immergleiche Ansage zunächst belustigt. Zu diesem Zeitpunkt konnten die Historiker der GTG jedoch in Auskunft bringen, dass kurz nach 16 Uhr in der Kabine des 124 Meter tiefen Aufzugs bei Erreichen der Höhe des Kehlsteinhauses Schmorgeruch zu vernehmen war, gleichzeitig der Feueralarm ausgelöst wurde und Zischgeräusche im Schacht zu hören waren. Der Fahrstuhlführer hatte die Kabine unverzüglich geräumt, worauf die Steuerung der Brandmeldeanlage den Aufzug im Berginneren "nach Plan" ferngesteuert in Richtung Tal manövriert habe, hieß es. Der Pächter des Kehlsteinhauses, Norbert Eder, ließ das Gebäude wegen des Brandalarms sofort evakuieren.

Durch den Ausfall des Fahrstuhls im Berginneren war das Gebäude von der 130 Meter tiefer gelegenen Busstation abgeschnitten. Für Feuerwehr, Polizei, Bergwacht und Rotes Kreuz begann nun im Tal ein Großeinsatz zur Evakuierung der Touristen und zur Bekämpfung eines mutmaßlichen Schwelbrands. Über 500 Besucher aus den verschiedensten Ländern saßen auf der engen Terrasse und auf dem Gipfelweg zum Kehlstein fest. Die Menschen verhielten sich ruhig, weil die Bewirtung auf der Terrasse zunächst fortgesetzt wurde und das Wetter sonnig und warm war, was in dieser Situation als Glücksfall bezeichnet werden kann. Als der Rettungshubschrauber "Christoph 14" aus Traunstein und zwei Polizeihubschrauber auftauchten, war allerdings auch auf dem Gipfel schnell klar, dass eine Rettungsaktion großen Ausmaßes angelaufen war. Es galt, die teilweise nur mit T-Shirts und Sandalen ausgerüsteten Touristen, Rollstuhlfahrer und Senioren vor Einbruch der Dunkelheit und Kälte von der Terrasse und dem Gipfel zu bergen. Atemschutzleute der Feuerwehr wurden zunächst aus der Luft abgesetzt, Bergwachtmänner und ein Arzt sorgten für Ruhe und ein Ingenieur der Aufzugfirma erreichte schließlich die Einsatzstelle. Ein offenes Feuer konnte nicht festgestellt werden, die Ursache für den Alarm wurde zunächst mit einer Überhitzung technischer Komponenten der Aufzuganlage bewertet, der Aufzug konnte nicht in Betrieb gesetzt werden.

Mittlerweile hatten alarmierte Bergwachtmänner vom 130 Meter tiefer gelegenen Busplateau mittels 250 Meter Seilsicherungen und Lawinenschaufeln den von Altschnee bedeckten Fußweg für eine Bergung der gehfähigen und mit entsprechenden Schuhen ausgerüsteten Besucher des Kehlsteinhauses vorbereitet. Innerhalb von zweieinhalb Stunden konnten so knapp 90 Personen in Kleingruppen über den Felsabhang hinuntergeführt werden. Unter den ersten Evakuierten befanden sich die GTG-Mitglieder Dr. Frank Uekötter vom Deutschen Museum in München und Professor Dr. Wolfgang König von der TU Berlin – ein erfahrener Expeditionsbergsteiger, der das Gebiet um den Kehlstein schon von früheren Klettertouren kannte.

Die Bergwacht lenkte und organisierte auch den beginnenden Hubschraubertransport der nicht abstiegfähigen Touristen vom 1881 Meter hoch gelegenen Gipfel. Bergwacht-Angaben zufolge war auch ein Puma- Großraumhubschrauber der Bundespolizei in Oberschleißheim gestartet. Die betroffenen Kehlstein-Besucher wurden im Pendelverfahren ausgeflogen, doch konnte die Aktion nach einiger Zeit abgebrochen werden, weil es Technikern nach etwa zwei Stunden gelungen war, den Aufzug wieder in Betrieb zu setzen. Die Betreuung und Information der vielen verängstigten Gäste lief währenddessen ruhig und diszipliniert ab und die restlichen Wartenden konnten in Kleingruppen im Aufzug abtransportiert werden. Bei der Aufzugfahrt war es dem einen oder anderen Technikhistorikern jedoch etwas mulmig, weil ein merkwürdiger Geruch in der Luft lag und dabei der Kabinenalarm noch immer ertönte. Erst nach 20 Uhr erreichten die Historiker die Abfahrtsstelle am Obersalzberg, wo sie registriert und vom Bayerischen Roten Kreuz mit Tee versorgt wurden. Zwar musste die Mitgliederversammlung an der Universität Salzburg wegen des Fehlens des Präsidiums auf den nächsten Tag verlegt werden, doch der Vorstandsvorsitzende, Prof. Dr. Reinhold Reith, nahm die Angelegenheit gelassen und äußerte sich positiv über den guten Ablauf der Evakuierung und die Kompetenz der vielen Rettungskräfte vor Ort. Wenn die GTG an diesem Tag nur wenig Glück hatte, so war es neben dem schönen Wetter auch der Umstand, dass der Reisebusfahrer selbst mit auf dem Kehlstein fest saß und somit die Busfahrt zurück nach Salzburg auch spät abends noch gesichert war. Auch darüber war man sich tags darauf im Guten einig: An Aufregung wird diese Exkursion kaum zu überbieten sein. Zuletzt sorgte noch die zweideutige Schlagzeile der Onlineausgabe der WELT für Erheiterung: "Ausflügler vom Berghof von Adolf Hitler geborgen". (OI – Walter Stoffel – 25.05.2008)