Tausend-Mark-Sperre und Tourismusboom im Talkessel

November 2021

Der Berchtesgadener Talkessel ist bekanntlich in drei Himmelsrichtungen von Österreich umgeben. Wer eine Rad- oder Bergtour macht, landet schnell an der Grenze wie hier am Hirschbichl. Historisch war Berchtesgaden deshalb stark von verschiedenen Grenzregelungen betroffen – meist mit positiven wie negativen Folgen. Eine der gravierendsten war die Tausend-Mark-Sperre.

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Grenze Hirschbichl

Kurz nachdem Adolf Hitler an die Macht gekommen war, begann das NS-Regime Druck auf das Nachbarland auszuüben, um die dortige Regierung zu destabilisieren und die österreichischen Nationalsozialisten zu fördern. Deutsche Staatsbürger*innen mussten ab 1. Juli 1933 eine Gebühr in Höhe von eintausend Reichsmark bezahlen, wenn sie nach Österreich fahren wollten – eine große Summe, die heute mehreren tausend Euro entspräche. Nur der „kleine Grenzverkehr“ war davon ausgenommen, wobei der Rahmen sehr eng war. Fahrten nach Hallein oder Salzburg waren für die Bewohner*innen des Berchtesgadener Talkessels bereits nicht mehr möglich. Tourist*innen durften die Grenze gar nicht übertreten.

Die Sperre zielte auf die Tourismusbranche in Österreich. Die Zahlen der deutschen Gäste im Alpenland gingen massiv zurück. Nur teilweise konnte die österreichische Regierung mit Gegenmaßnahmen verstärkt Gäste aus anderen Ländern anwerben. Auch die Eröffnung der Großglockner Straße 1935 steht in diesem Zusammenhang.

Auf unserer Seite der Grenze setzte hingegen ein Touristenboom ein, da deutsche Reisende nun die bayerische Alpenregion anstatt Tirol oder das Salzburger Land besuchten. Ruhpolding wurde überhaupt erstmals zum Urlaubsort, da ein Berliner Reisebüro eine Alternative zum österreichischen Golling brauchte. In Berchtesgaden steigerten das Interesse an der „Wahlheimat des Führers“ und Massenfahrten der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ zusätzlich den Effekt. Die Gäste- und Übernachtungszahlen vervielfachten sich bis 1936 und der Talkessel erzielte nie dagewesene Steigerungsraten. Zugleich erzeugte die Gästeflut vielfachen Unmut. Insbesondere beklagten viele Einheimische den enorm gestiegenen Verkehr und den damit verbundenen Staub, da viele Straßen noch nicht asphaltiert waren. Die Kurgäste wurden gar als „Landplage“ bezeichnet.    

Zugleich litten viele Berchtesgadener*innen unter der Tausend-Mark-Sperre, da ihnen Ausflüge oder Besuche bei Verwandten im Nachbarland verwehrt blieben. Auch die heimischen Berghütten, die knapp in Österreich liegen, wie das Wirtshaus am Hirschbichl, das Ingolstädter Haus oder das Stahlhaus hatten deutlich weniger Gäste. Die DAV-Sektion errichtete auf der Reiter Alm bis 1938 gar die Neue Traunsteiner Hütte, die anders als die Alte knapp auf der deutschen Seite der Grenze lag.   

Die Bewohner*innen im Talkessel begrüßten deshalb die Aufhebung der Tausend-Mark-Sperre Ende August 1936, vor allem da der befürchtete Einbruch bei den Gästezahlen zunächst ausblieb. Auch die devisenrechtliche Nachfolgeregelung schränkte Urlaube in Österreich ein. Der große Einbruch kam aber kurz darauf mit dem von Adolf Hitler am Obersalzberg beschlossenen Angriff auf Polen 1939. 

Quellen:
* Bayerisches Hauptstaatsarchiv, MA 106670 und 106671
* Schöner, Helmut: Das Berchtesgadener Land im Wendel der Zeit. Ergänzungsband I, Berchtesgaden 1982.  

Mathias Irlinger