Zwei Straßennamen - eine Person
Januar 2022
Hanielstraße und Gräfin-Waldersee-Straße, zwei Straßennamen, mit denen von der Marktgemeinde Berchtesgaden aber nur eine Person geehrt wird. Und das innerhalb eines Ortes, und auch nur wenig voneinander entfernt. Das hat Seltenheitswert.
Elsa Haniel wurde 1871 in Ruhrort (heute Duisburg) als Tochter des Großindustriellen Julius Haniel geboren, der mit Kohle und Stahl viel Geld verdiente. Die Familie zählt noch heute zu den 10 reichsten Familienunternehmen in Deutschland. Anteilseigener kann nur werden, wer durch Geburt oder Heirat zur Familie gehört.
Nach dem finanziellen Aufstieg der Familie sollte auch der gesellschaftliche folgen. So fiel das Werben des Juristen Dr. Friedrich von Michael um die 20-jährige Elsa auf fruchtbaren Boden. Er besaß zwei große Güter in Holstein und konnte den Aufstieg in den Adelsstand bieten; sie als Großaktionärin des Konzerns eine Mitgift von heute umgerechnet rund 410 Millionen Euro.
Nach der Hochzeit 1892 bauten sie mit ihrem Vermögen das Gut Groß Plasten großzügig aus. Zur Familienkultur der Haniels gehörte auch die Verbesserung der Wohnverhältnisse der Gutsarbeiter, dazu kamen Kindergarten, Schule und eine Arztpraxis. Als nach 12-jähriger Ehe sich immer noch kein Kindersegen eingestellt hatte, ließ sich Friedrich von Michael scheiden. Er benötigte dringend einen Erben, da sämtliche Nebenlinien der Familie bereits ausgestorben waren.
1896 hatte Alfred Graf von Waldersee die Villa Doris in Berchtesgaden erworben. Er war zuletzt Generalfeldmarschall und hatte beim Boxeraufstand in China den Oberbefehl der Interventionstruppen. Er starb 1904 in Hannover. Die Villa erbte sein Cousin Franz Graf von Waldersee, der auf seinem Gut Waterneverstorff in Holstein lebte. Er konnte mit der weit entlegenen Villa wenig anfangen und verkaufte sie an die frisch geschiedene Elsa von Michael. Diese zog nach Berchtesgaden, ließ 1910 von Baumeister Georg Schelle einen Anbau erstellen und den Park vom damals bekannten Gartenbauarchitekten Karl Foerster umgestalten. Bereits 1909 fuhr sie ein Benz-Automobil.
Als Elsa erfuhr, dass ihr Ex-Mann erneut heiraten wollte, stürzte sie in eine tiefe Lebenskrise. Eine Freundin nahm sie mit nach Schloss Mainberg, wo der kirchenkritische protestantische Theologe Johannes Müller entsprechende Seminare in seinem „Seelenheim“ anbot. Elsa wurde dessen glühende Anhängerin und es entstand eine lebenslange, bedingungslose Freundschaft. Als die Räumlichkeiten in Mainberg nicht mehr ausreichten, half Elsa bei der Grundstückssuche und finanzierte 1913 – 15 den Bau des neuen Domizils, Schloss Elmau, mit heute umgerechnet 25 Millionen Euro fast vollständig allein. Es gehört heute zu den besten Hotels der Welt. 2015 fand hier der G 7-Gipfel statt. Dort hängt auch noch ein Bild von ihr, 1904 vom Münchner Maler Friedrich August Kaulbach gemalt.
In Berchtesgaden hatte Elsa für alle Sorgen und Nöte ein offenes Ohr und wurde zur großen Wohltäterin. Im 1. Weltkrieg brachte sie Kriegsversehrte in der Villa Doris und im Stockerlehen auf ihre Kosten unter. 1919 wurde ihr als „Gönnerin Berchtesgadens und bei der Verwundeten-Betreuung während des 1. Weltkriegs“ die Ehrenbürgerschaft des Marktes Berchtesgadens verliehen und die Hanielstraße nach ihrem Geburtsnamen benannt.
Den Kontakt zu Franz Graf von Waldersee hatte sie offensichtlich aufrechterhalten, denn 1921, einige Jahre nach dem Tod seiner Frau, heiratete der Witwer die wohlhabende Elsa von Michael in zweiter Ehe in Berchtesgaden. Sie lebten in Holstein und nutzten die Villa nur zum Sommeraufenthalt. Erst nachdem ihr Mann gestorben war, zog Elsa von Waldersee 1932 wieder ganz nach Berchtesgaden.
1936 stiftete sie einen namhaften Betrag für die größte Glocke der Christuskirche.
Sie starb 1955 und wurde in einem Trauergottesdienst in der Christuskirche von allen Honoratioren verabschiedet; im Anschluss daran nach Gut Waterneverstorff überführt, wo sie im Familiengrab ihre letzte Ruhe fand.
Ein Jahr nach ihrem Tod brachte die Marktgemeinde eine Gedenktafel an der Mauer des alten Friedhofs an. Auf ihr stand „WATERNVERSTOFF“, so dass später eine neue Tafel angefertigt werden musste. Das fehlende „e“ wurde durch ein „f“ ersetzt. Seitdem liest man dort aber „WATERNFVERSTORFF“, was aber noch kaum jemand bemerkt hat.
Mit dem Bau der „Waldersee-Siedlung“ auf dem Gelände der ehemaligen Parkanlage benannte man 1985 auch die Gräfin-Waldersee-Straße nach ihr.
Literatur:
A. Helm, Berchtesgaden im Wandel der Zeit, S. 16 und 129;
Gräfin Isabell Waldersee, Geschichte eines ostholsteinischen Gutshauses,
in: Burgen und Schlösser 1963/II;
BAZ vom 11.11.1955, Abschied von Gräfin von Waldersee;
Wikipedia, Schloss Elmau;
Ulrike Leutheusser, Frauen im Schatten von Schloss Elmau, 2016:
Helmut Borth, Die reiche Herrin auf Gut Groß Plasten,
in: Schweriner Zeitung vom 03,01.2018.
Alfred Spiegel-Schmidt