Damnatio Memoriae? Landesdenkmalamt kritisiert „Geschichtsbeseitigung“. Kapellenbau mit Hitlers Steinen?

12.02.2010

Der Neujahrsempfang des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege wird traditionell auch zur Präsentation von laufenden Projekten der Denkmalpfleger genutzt. Vergangenen Freitag überraschte der Pressesprecher der Behörde vor 350 geladenen Gästen mit einem „besonders sensiblen und aktuellen Fall“: Hitlers Obersalzberg – damals und heute. Dabei gab es Denkwürdiges zu berichten. 

>>> weiterführend:  Artikel in der International Herald Tribune vom 13. Februar 2010

>>> weiterführend: TV-Interview mit dem Architekten der Kapelle. Wurde Hitlers Terrasse gestohlen? 

Dr. Richard Nemec erläuterte in seinem Kurzvortrag zunächst die Geschichte des Obersalzbergs. Reichsleiter Martin Bormann habe das gesamte Areal 1935 zum „Führersperrgebiet“ erklärt und damit begonnen, es für den „Volkskanzler“ auszubauen. In kürzester Zeit entstand ein gewaltiger Gebäudekomplex, in dessen Zentrum der Berghof stand. Der Pressesprecher zeigte NS-Propagandabilder, wie etwa den Besuch der Regensburger Domspatzen bei Hitler und Eva Braun mit Hase und Hund - eine „Scheinidylle“, erklärte er, denn der Berghof wurde zur „zweiten Schaltstelle der Macht neben Berlin“ stilisiert: Die zeitgenössische Propaganda war begeistert. Hitler habe selbst geäußert: „Meine großen Pläne sind dort entstanden“. Kurz vor Kriegsende wurde das Gelände dann von der britischen Luftwaffe bombardiert, 1945 von den Amerikanern besetzt und im April 1952 sprengte man die Überreste des Berghofs in einem „Akt materieller Bereinigung“. Lediglich der Garagensockel des Hauses, auf dem die Berghofterrasse lag, blieb nach den aktuellen Recherchen des Landesamts übrig.

Generalkonservator Prof. Dr. Egon Greipl, Neujahrsansprache 2010 (Foto: Förster) 

Bereits in den 1970er Jahren, kurz nach Inkrafttreten des Bayerischen Denkmalschutzgesetzes, sei die Denkmaleigenschaft der Gebäude erkannt worden. Die Veröffentlichung in der Denkmalliste musste jedoch „aufgrund einer politischen Entscheidung“ unterbleiben. Bis heute gebe es keine amtliche Kartierung des Gebietes und 1995 wurden die Terrassenanlage und die darunter liegenden Garagengebäude des Berghofes abgetragen, so Nemec. In den Jahren 1999 bis 2003 habe man die „Geschichtsbeseitigung“ fortgesetzt. Der Finanzminister habe den Obersalzberg zutreffend als „Täterort“ bezeichnet aber auch erklärt, es sei Vergangenheit beseitigt worden, soweit Ruinen vorhanden gewesen waren. Weitere Gebäude auf dem Obersalzberg fielen der Abrissbirne zum Opfer; der Boden wurde, wie der Sprecher anführte, „tiefenenttrümmert“. Die Aufgaben der Erinnerung sollten nicht die „Denkmal-Zeugen“ übernehmen, sondern das Dokumentationszentrum.

Mit anschaulichen Bildern dokumentierte Nemec auch kritisch die Abtragungen seit der Verpachtung des Geländes an die Bayerische Landesbank. Tonnen wertvollen Marmors seien zerschreddert worden, nicht ein „Flinserl“ des „belasteten Steinmaterials“ sollte diese „Aufräumaktion“ überleben. Eine vollständige damnatio memoriae? – fragte Nemec. Es sei auch nach 1999 zu Abbrüchen gekommen, wie im Fall von Resten der ehem. SS-Kaserne 2002, Resten des ehem. Gewächshauses 2002, der Entkernung des westlichen Nebentrakts des ehem. Platterhofs 2005 und dem Abbruch des Osttrakts des ehem. Gutshofes 2007. Gänzlich ausgelöscht seien die materiellen Zeugen der Geschichte jedoch nicht, stellte der Denkmalschützer fest: So hatte man die Theaterhalle auf dem Obersalzberg bereits in den 1950er Jahren nach München für den Bau der im Zweiten Weltkrieg zerstörten Herz-Jesu-Kirche in Neuhausen verbracht. Diese Art von „Recycling“ sei aus der Not der Nachkriegsjahre heraus entstanden.

Gemeinsam mit seinen Mitarbeitern Dorothee Ott und Nikolaus von Ribbeck hat Nemec bei seinen Recherchen aber auch Verblüffendes entdeckt. Eine kurze Unruhe ging durch die Reihen der Gäste, als Nemec bekannt gab:  In den Jahren 1995-97 errichtete das Staatliche Hochbauamt Traunstein die „Wegmacherkapelle“ am Rande der ab 1990 verbreiterten B 20 am Hallthurm. Auch hier, so Nemec wurde „Recycling“ betrieben und  Material vom Obersalzberg benutzt – sozusagen eine Reinigung, eine „Exorzierung“ der „historisch kontaminierten Steine“ vollzogen – wie er bemerkte. Nemec weiter: „Die Kapelle wurde als eine steinerne Cella errichtet, über der auf vier Säulen das Dach ruht. Diese Mauer besteht aus Steinen, die einem einst zu Hitlers Zeiten angelegten Straßenbaudepot entstammen. Die Bodenplatten kommen, so sieht es zumindest aus, vom Berghof. An der Straße, die Hitler bis 1938 nutzte, um sein Scheinidyll zu erreichen, steht nun ein kleines, unschuldiges Gotteshaus – errichtet aus  „vorbelasteten“ Steinen. Nichts deutet heute auf die Herkunft der geduldigen – und durch ihre neue Verwendung sozusagen exorzierten, von ihrer geschichtlichen Last befreiten – Steine mehr hin.

Nemec schloss mit der positiven Nachricht, das Bayerische Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst habe am 20. Oktober 2009 mitgeteilt, dass die Erfassung bzw. Überprüfung der denkmalwerten Anlagen im Bereich des Obersalzbergs durch das Landesamt für Denkmalpflege im Rahmen der Nachqualifizierung der Denkmalliste 2010/2011 erfolgen könne. Jetzt würde die Erfassung der Denkmäler endlich kommen – „soweit sie noch da seien“ – meinte Nemec.
(12.02.2010)

 

Die "Wegmacherkapelle" an der B 20 am Hallthurmer Berg zwischen Bayerisch Gmain und Bischofswiesen. (Photo: OI/ fb)