Die Königsseebahn als Starthilfe
Januar 2024
Wenn ein wohl einmaliges, zweifellos spektakuläres, Ereignis bei der legendären Königssee-Bahn erst etwa 60 Jahre zurückliegt, ist es dann schon als „historisch“ einzuordnen? - Egal; es ist berichtenswert. Ort des Geschehens Anfang der 60er-Jahre ist der Haltepunkt „Unterstein-Schönau“. Was geschah?
Der Berchtesgadener Peter Keilhofer war seinerzeit bei der „Fischzucht Haas“ in Königssee als Fahrer beschäftigt. Seine tägliche Fracht waren auf dem kleinen Lastwagen zwei Bottiche mit lebenden Königssee-Forellen bzw. Königssee-Saiblingen, um damit landauf, landab die gehobene Gastronomie zu beliefern. Für jeden Küchenchef eine Selbstverständlichkeit, diese Spezialität auf dem Speiseplan zu haben.
Peter Keilhofer war mit seinem Lastauto unmittelbar neben dem Gleis des Haltepunktes aus unerklärlichen Gründen zum Stehen gekommen und das Gefährt wollte partout nicht mehr anspringen. Er hatte bereits die Motorhaube geöffnet und suchte verzweifelt nach der Ursache.
In diesem Augenblick fuhr der rote Triebwagen der Königssee-Bahn, von Berchtesgaden kommend, im Haltepunkt ein. Triebwagenführer Stefan Grundner erkannte sofort die missliche Situation. Er rief – noch kaum zum Stehen gekommen – von seinem Führerstandsfenster dem verzweifelten „Fischfrächter“ zu: “Mag` er nimmer? Hast` a` Seil dabei?“ Und als Keilhofer bejahte, forderte Grundner ihn auf: „Häng` Di` hint`n am Zughaken ei!“ - Gesagt getan. Als alle Reisenden aus- bzw. eingestiegen waren und der Schaffner mit seiner Trillerpfeife nach einem ungewohnt längeren Aufenthalt das Abfahrsignal gegeben hatte, fuhr Triebwagenführer Grundner vorsichtig an, bis das Abschleppseil straff gespannt war. Der Schaffner seinerseits war bei dieser Aktion als Mittler zwischen beiden Beteiligten voll im Einsatz. Nun beschleunigte der Triebwagenführer seine Fahrt, doch es brauchte nur wenige Meter und das Lastauto war wieder angesprungen. Peter Keilhofer signalisierte die erfolgreiche „Starthilfe“ seinerseits mit einem kräftigen Hupen, was für den Triebwagenführer bedeutete, noch einmal zum „Aushängen“ anzuhalten. Es wäre schließlich fatal gewesen, das Fischauto über den Bahndamm hinter sich herzuziehen.
Für Peter Keilhofer ist dies bis heute ein unvergessliches Erlebnis, von der Königssee-Bahn einmal angeschleppt worden zu sein. Auch den Reisenden im Triebwagen, überwiegend Urlauber auf dem Weg zum Königssee, war diese Aktion keineswegs entgangen. Sie hatten sie von den geöffneten Zugfenstern aus mit großem Staunen verfolgt: „Ja, wo gibt`s denn so etwas?“ Aus heutiger Sicht wäre ein derartige Hilfeleistung wohl aufgrund der Vorschriftenlage völlig unmöglich – oder war es das auch damals schon? Doch wie heißt das passende alte Sprichwort: „Der Zweck heiligt die Mittel“! Peter Keilhofer und Stefan Grundner waren jedenfalls seither eng befreundet.
Dieser Beitrag ist der Broschüre „Erinnerungen an die Königssee-Bahn“ entnommen, die in diesen Tagen in der 4. Auflage im Druckhaus Berchtesgadener Anzeiger erschienen ist. Auch in der Berchtesgadener Buchhandlung Rupprecht, in der LOKWELT Freilassing und im DBMuseum Nürnberg ist die Broschüre erhältlich.
Manfred Angerer
Foto : die Königssee-Bahn, hier vor der Schwöbbrücke
(Sammlung Herbert Birkner)