Ein unauslöschliches Geburtstagserlebnis

April 2025

Meine Erinnerungen als damals Fünfjähriger

25. April 1945 – das war jetzt vor 80 Jahren. Ein herrlicher Frühlingsmorgen bricht im Berchtesgadener Land an. Die Wiesen beginnen zu grünen; dahinter ragen die noch schneebedeckten Berge auf – ein Traumtag!

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Mein Blick auf den Obersalzberg 80 Jahre danach

In krassem Gegensatz dazu der Albtraum, ja die Angst und der Schrecken, die die Berchtesgadener Bevölkerung in diesen Tagen erfüllen. Zu oft schon haben uns in den letzten Wochen die Luftschutzsirenen in die Bunker gejagt. Was wird wohl noch geschehen? Der Obersalzberg, die „Alpenfestung“, wird uns doch hoffentlich nicht noch zum Schicksal und Verderben werden!?

Auf den 25. April 1945, dem Tag der Bombardierung des Obersalzberges, fiel auch mein fünfter, um genau zu sein, mein sechster Geburtstag. Wir wohnten damals bei den Walchs in „Unterwachterpoint“ in Untersalzberg, gleich oberhalb der Gollenbachkapelle. Wenn ich „wir“ sage, so meine ich meine Mutter, nach heutigem Sprachgebrauch eine Alleinerziehende, und mich, denn mein Vater war schon seit zwei Jahren – wie viele Väter seinerzeit – an der Front in Russland.

Nach dem bescheidenen Frühstück schickte sich meine Mutter gerade an, mit den einfachsten damals zur Verfügung stehenden Mitteln den Teig für einen Geburtstagskuchen anzurühren. Ein Aniskuchen sollte es sein, mein Lieblingskuchen, den man in Scheiben geschnitten und im Ofen getrocknet, besonders lang aufheben konnte.

Doch um 9:30 Uhr heulten plötzlich die Sirenen – Voralarm! Wenige Augenblicke danach folgte gleich Vollalarm! Es hieß: alles liegen und stehen lassen und schnellstens hin zum Salzbergwerk, unserem nächstgelegenen Luftschutzbunker! Das Wichtigste hatte man in jenen Tagen ohnehin in einen Rucksack oder ein Köfferchen gepackt, um es im Ernstfall sofort parat zu haben. Auch ich Fünfjähriger hatte mein Rucksäckchen griffbereit. Ich weiß nicht mehr, was alles drin war; nur mein heißgeliebter Teddybär musste noch rein – Kopf oben raus, damit er auch Luft bekam!

Am Salzbergwerk herrschte schon ein riesiges Gedränge; alle Bewohnen von Untersalzberg, jene vom Siedlungsgebiet am Bergbach und die „Wasserhäusler“ von gegenüber, wollten schnellstens in den Berg – in Sicherheit! Mit den Rollwageln der Fremdeneinfahrt wurden wir allesamt in das Franz-Josef-Sinkwerk, die große Halle, gebracht. Und da saßen wir dann in düsterem Licht, die Erwachsenen, meist Frauen, völlig verängstigt auf den Steinbänken rundum und auf dem Boden. Zumindest war es beruhigend, viele hundert Meter schützenden Fels über sich zu wissen. Die Mütter redeten beruhigend auf ihre Kinder ein oder hielten sie beschützend im Arm. Ich selbst wollte tapfer sein: ich tröstete meinen Teddybären – und vermutlich tröstete er auch mich!

Am frühen Nachmittag kam dann für alle Schutzsuchenden die Nachricht der Entwarnung. Wir wurden wieder ans Tageslicht befördert, doch es war kein strahlender Tag mehr wie am Morgen. Dichte Rauchwolken lagen über dem Tal, ätzender Brandgeruch; am düstersten war es über dem Obersalzberg. Die Nachricht machte schnell die Runde: über dem Obersalzberg war ein verheerender Bombenhagel niedergegangen.

Auf dem Weg zu unserer Wohnung lagen zahlreiche verglühte Eisentrümmer, vermutlich Bombensplitter, in der Wiese und hatten die Grasnarbe rundum völlig verbrannt. Diese Brandmale mit jämmerlich verkohlten Gänseblümchen habe ich heute noch vor Augen! Doch welch` Glück - wir waren mit dem Leben davongekommen. Neben den Vernichtungen am Obersalzberg mussten hingegen in der Resten, in der Ober- und Unterau zahlreiche Berchtesgadener auf tragischste Weise den Angriff mit ihrem Leben bezahlen.

Als meine Mutter und ich schließlich unsere Unter-Dach-Wohnung betreten wollten, waren wir fassungslos. Der ganze Deckenputz hatte sich durch die Druckwelle vom Draht-Schilf-Deckengeflecht gelöst und war zu Boden gestürzt. Unsere Wohnküche und auch die beiden Schlafräume waren eine einzige Schutt- und Staubwüste! Der Putz lag auf allen Möbeln; das Sofa, die Betten und der ganze Fußboden waren übersät – und auch die Schüssel auf dem Tisch mit dem Kuchenteig war unter dem Schutt begraben.

Mir ging`s ja gar nicht so sehr um den verlorenen Geburtstagskuchen. Ich weiß nur noch wie heute, dass meiner Mutter die Tränen über die Wangen liefen und sie mich in den Arm nahm. Sicher hat sie bei diesem erschütternden Anblick auch an ihren lieben Mann und meinen Vater in der Ungewissheit des sinnlosen Fronteinsatzes denken müssen.

Immer wenn ich in den vielen Jahrzehnten seither durch den Neuhausbogen gehe und mir dabei die Dank- und Erinnerungstafel von Alfred Essler, einem heimatvertriebenen Künstler, anschaue, dann werden in mir stets Erinnerungen an meinen fünften Geburtstag wach. War es gar der Tag meiner nochmaligen Geburt?.

 

Text und Foto: Manfred Angerer