Die Hilgerkapelle - Eine Kapelle am Straßenrand

Juni 2025

Dem aus Radstadt in Österreich stammenden Berchtesgadener Bürgermeister und Verleger Josef Seefeldner und seiner Ehefrau Ursula Regina wurde vor gut 300 Jahren in einem Konsistorialprotokoll bewilligt, „negst beim Haus ihres Lehens am Lagstain“ eine Kapelle zu errichten.

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Die 1664 in Salzburg geborene Ursula Regina war in erster Ehe mit dem Verleger Adam Hilger verheiratet und hatte nach dessen Tod 1697 das gegenüberliegende Hilgerlehen als „Witwengut“ mit in die zweite Ehe gebracht.

1723 schuf der Berchtesgadener Hofzimmermeister Peter Wenig die Pläne für den Kapellenneubau. Mit dem Bau im gleichen Jahr wurde der Schellenberger Maurermeister Heinrich Reßl beauftragt.

Bekannte Künstler jener Zeit wurden für die Ausschmückung des Innenraumes beauftragt. So schuf der aus Wien stammende Jakob Gallo, damals schon im Schloss Mirabell in Salzburg tätig, die Stuckarbeiten der Kapelle im Regencestil sowie den ersten Altar und den von Putten umrahmten Heiligen Geist an der Decke.

Die Fresken werden dem Burghauser Meister Innozenz Anton Warathi zugeschrieben, der auch das Deckengemälde in der Wallfahrtskirche Maria Ettenberg schuf. Das Fresko über der Eingangstüre, heute mit einem auf Holz gemalten Gemälde mit dem gleichen Motiv verdeckt, zeigt den hl. Antonius von Padua bei der Erscheinung des Jesuskindes. Das vom Altar verdeckte Fresko über der Eingangstüre zur Sakristei – vor dem ebenfalls ein auf Holz gemaltes Gemälde mit dem gleichen Motiv hängt – zeigt Franziskus beim Empfang der Wundmale Christi auf dem Berg Alverna.

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Im Deckenbild ist die von Engelputten umschwebte Maria mit weißer Lilie, dem Symbol der Reinheit, dargestellt. Das Zertreten der Schlange zu ihren Füßen symbolisiert den Sieg über das Böse.

Als Dank für die Genesung aus schwerer Krankheit ließ Ursula, die Stifterin der Kapelle, eine Kopie des wundertätigen Gnadenbildes von Maria Dorfen für den Altar der Hilgerkapelle anfertigen. Einerseits bestand die Verbindung zu Dorfen damals aus dem Besitz einer Hofmark der Fürstpropstei Berchtesgaden in Wasentegernbach, unweit von Dorfen, und andererseits erfreute sich die Wallfahrt zur Gnadenmutter von Maria Dorfen bereits seit dem 18. Jahrhundert wesentlich größerer Beliebtheit als Altötting.

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Das Altarbild dürfe das älteste und wertvollste Stück der Kapelle sein. Es stellt die Gottesmutter von Maria Dorfen dar. Sie sitzt auf einem Thron, neigt den Kopf etwas auf die rechte Seite und hält mit dem rechten Arm das auf ihrem Schoß sitzende Jesuskind. Das faltenreiche Kleid ist weiß und goldbestickt. Der weite blaue Mantel verdeckt den Thronsessel. In der linken Hand hält Maria als Königin des Rosenkranzes einen Rosenstrauß und einen Rosenkranz. Das Jesuskind hat ein weißes, goldgesticktes Gewand und hält in der rechten Hand eine Lilie als Sinnbild der Unschuld. Die metall-vergoldeten Kronen und Herzen sind Votivgaben. Am unteren Rand ist die Wallfahrtskirche von Maria Dorfen zu sehen, mit Kapelle und Priesterhaus, Kranken und Zufluchtsuchenden bei Maria sowie ein Spruchband (übersetzt) „Wunderbares Gnadenbild der allerheiligsten Jungfrau und Gottesmutter Maria“. Zwei Engel halten Tafeln mit der Aufschrift „Rosarium“ (Rosenkranz) und „Refugium“ (Zuflucht). Über dem Bild eine Rocaille mit der Aufschrift (übersetzt) „Unsere liebliche Mutter, bitte für uns!“.

Die Hilgerkapelle erfreute sich damals sehr großen Zuspruchs, sodass man sich bereits 1727 zum Anbau von Sakristei und Turm entschloss, was jedoch die Zerstörung des StuckaItars zur Folge hatte. Im Turm hängen noch heute zwei Glocken mit jeweils 100 bzw. 58 kg Gewicht, die 1728 in Salzburg gegossen wurden, wovon die größere 1982 durch eine neue ersetzt werden musste.

1778 erhielt die Kapelle einen neuen, den heutigen Altar. Den Auftrag hierzu bekam der Berchtesgadener Hoftischler Christoph Datz, der auch den Altar in der Kirche Maria Kunterweg sowie die Sakristeischränke in der Stiftskirche schuf.

Seitlich des Gnadenbildes stehen der heilige Josef mit der Lilie und Joachim, Marias Vater, mit der Hirtenschaufel. Im Auszug des Altars, ganz oben, ist ein Ovalbild mit Anna, Marias Mutter, beim Unterweisen ihrer Tochter zu sehen. Die Bilder an den Außensäulen zeigen in schönen Rokokorahmen auf der linken Seite den heiligen Nikolaus von Tolentino (+1305) und Petrus Forerius (+1640).

Eine Figur des Holzbildhauers Hans Schuhegger im hinteren Bereich der Kapelle erinnert an den 1988 seliggesprochenen Pater Kaspar Stanggassinger.

An der rechten Außenwand sind auf neuen Konsolen drei Rokokoreliquienkästchen aufgestellt. In ihnen befinden sich Reliquien von 11 Märtyrern und Märtyrerinnen. Sie waren Anfang des 18. Jahrhunderts ein Geschenk von Sigismund Karl, Fürstbischof von Chiemsee, an die Berchtesgadener Franziskaner.

Die beiden erwähnten Fresken über der Eingangstüre und der Türe zur Sakristei verweisen auf den Einfluss der Franziskaner auf die Erbauung der Kapelle und die Belebung der Wallfahrt. Ihnen oblag bis in die 1960er-Jahre die Betreuung der Hilgerkapelle – dazu gehörte auch die Christmette, die jeweils am Morgen des ersten Weihnachtsfeiertages gehalten wurde und zu der auch die Weihnachtsschützen in direkter Nachbarschaft geschossen haben.

Durch die Säkularisation verlor die Hilgerkapelle 1803 ihr nicht unerhebliches Vermögen. Wegen der Baulast und der entstandenen finanziellen Not wurde bereits kurz darauf und dann wieder in den Jahren 1809 und 1867 der Abbruch ernstlich erwogen.

Schließlich übernahm mit Urkunde vom 27. Februar 1867 die damalige Gemeinde Salzberg auf dem Weg der Schenkung die Kapelle von der Kirchenstiftung Berchtesgaden. Durch die Gemeindereform ist heute die Marktgemeinde Berchtesgaden der Eigentümer.

Es erfolgten Renovierungen in den Jahren 1880, 1932, 1957 und 1982. Die durch einen Blitzschlag zerstörte Holzkonstruktion des Turmes musste 2009 erneuert werden. Mit einem Festgottesdienst am 11. Mai 2024 konnte die Kapelle nach umfangreichen Renovierungsarbeiten – 2022 außen und 2023 innen – wieder „in Gebrauch genommen werden“.

Das äußere Erscheinungsbild der Hilgerkapelle, geprägt durch die längsrechteckigen Fenster vom Haupthaus und dem Anbau der Sakristei, seinem Barockzwiebelturm und der schlichten Fassade bewahrte über die Jahrhunderte sein Aussehen. Nur die Farbgebung wechselte durch die letzte Renovierung von der jahrzehntelangen gelb-weißen in die ursprüngliche rosa-weiße.

Die Hilgerkapelle wird bis heute von der Pfarrei St. Andreas seelsorgerisch betreut, d.h. es wird zu Maiandachten und Rosenkranzgebeten eingeladen und es findet jeweils von Ostern bis zum Patroziniumsfest Ende November am dritten Samstag im Monat ein Gottesdienst statt, zu dem sich die treue Nachbarschaftsfamilie zum Gebet versammelt.



Text: Linda Pfnür
Fotos: Andreas Pfnür
Quellen:
Die Hilgerkapelle „Maria Dorfen“ in Berchtesgaden
von Zeno Reisberger 1925/1926
Kirchen- und Kapellen der Pfarrei St. Andreas Berchtesgaden,
Verlag Schnell + Steiner 2003