Ein Denunziant und eine humanitäre Geste

August 2023

Im September 1944 trafen sich zwei Schulfreunde aus Berchtesgaden in Berlin. Ein frohes Wiedersehen war es nicht. Denn Rudolf Kriß und Gottfried Rasp saßen sich im Volksgerichtshof gegenüber: Der Brauereibesitzer und Ethnologe Kriß auf der Anklagebank, der Kunstmaler Rasp als einziger Zeuge der Anklage. Das Urteil stand fest. Der berüchtigten Nazi-Richter Roland Freisler verurteilte Kriß zum Tode. Nur mit Glück wurde die Strafe kurz darauf in lebenslange Haft umgewandelt.

08-Friedl-Rasp-Illustration-Im-Schatten-des-3.jpg

aus: im Schatten des Hohen Göll

Gegenstand der Verhandlung war ein Gespräch Ende Dezember 1943. Kriß hatte den Kunstmaler besucht, da er ihn mit Illustrationen für das Buch „Im Schatten des hohen Gölls“ von Hanns Angerer beauftragt hatte. Im Gespräch mit Rasp hatte sich Kriß zu einigen nazikritischen Äußerungen hinreißen lassen. So soll Kriß gesagt haben, die Nazis hätten den Krieg angefangen und dass sie nur „Blut und Elend“ bringen. So erzählte es Rasp dem NSDAP-Kreisleiter, der auf diese Gelegenheit nur gewartet hatte. Denn schon länger hatten die lokalen Nazis Kriß im Visier. Sie stören sich unter anderem an dessen Engagement gegen eine Vereinnahmung der Weihnachtsschützen durch die Nazis. Dank Rasp konnten sie Kriß nun aus dem Weg räumen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Rasp bereits einen unrühmlichen Namen als „Spitzel“ gemacht. Schon 1933 hatte er den damaligen Königsseer Bürgermeister Josef Moderegger (Hotel Schiffmeister) denunziert. 1936 folgte der Kommunist Stefan Schaummann und im Zweiten Weltkrieg die Verkäuferin der Bäckerei Zechmeister in Berchtesgaden Sofie Fischer. Immer ging es um nazikritische Aussagen, die Rasp an die NSDAP weitergab. Die Folgen waren unterschiedlich. Moderegger trat zurück, Schaumann setzte sich sofort in die Tschechoslowakei ab, und Sofie Fischer musste acht Tage in Haft. In weiteren Fällen wurden Rasp Denunziationen nachgesagt, die aber nicht aktenkundig wurden.

Rasp war ein überzeugter Nazi. Er trat bereits 1927 in die NSDAP ein, 1930 wieder aus, nur um 1934 erneut die Mitgliedschaft anzustreben, die 1937 dann auch erfolgte. Höhere Ämter hatte er indes keine. Er brachte es nur zum Schulungsleiter der Ortsgruppe Berchtesgaden. Ab 1934 war er zudem in der SA, die ihn aber 1938 wegen „Interessenlosigkeit“ wieder ausschloss.

Ähnlich wechselhaft verlief seine Karriere als Kunstmaler. Zwar hatte er einige lokale Aufträge, wie 1927 den Kreuzgang in der Bischofswieser Kirche, zu höheren Meriten reichte es aber nicht. Immerhin bewahrte ihn seine Anstellung als Zeichenlehrer in der Oberschule Berchtesgaden – und wohl auch seine Nähe zu den lokalen Nazis – vor einem längeren Fronteinsatz. Nach nur vier Monaten Militärdienst wurde er 1940 „uk“ gestellt, das hieß er galt in seinem zivilen Beruf – wohlgemerkt als Zeichenlehrer – als unabkömmlich.

Mit der Befreiung im Mai 1945 wendete sich das Blatt. Kriß wurde am 1. Mai in Landshut von US-Truppen befreit. Wenige Tage später kam er nach Berchtesgaden zurück und wurde erster Nachkriegsbürgermeister.

Gottfried Rasp hingegen wurde am 13. Mai vom US-Militär verhaftet und von der Spruchkammer Berchtesgaden ein Jahr später als „Hauptschuldiger“ eingestuft. Die Kammer bezeichnete ihn als „Spitzel und Provokateur der hiesigen Kreisleitung der NSDAP“. Rasp selbst sah sich als unschuldig. Er habe die Folgen seiner Taten nicht einschätzen können, sondern nur „unbedacht“ Gespräche weitergegeben. Andere hingegen sahen in ihm wahlweise ein „geschickt benutztes Werkzeug“ der NSDAP, ein „haltloses Individuum“ oder den „größten und gemeinsten Denunzianten im Landkreis Berchtesgaden“.

Zwar sortierte ihn die Berufungskammer 1947 in die Gruppe II der „Belasteten“ ein. Vor dem Hintergrund, dass in ganz Deutschland nur 2,6 % der Spruchkammerverfahren mit einem derart scharfen Urteil endeten und die meisten hochrangigen Nazis ganz oder glimpflich davon kamen, war dies immer noch deutlich. Gleichwohl musste er die Strafe von fünf Jahren nicht ganz absitzen, sondern kam im März 1949 frei. Doch noch immer war er mit einem Berufsverbot belegt.

Ausgerechnet sein Opfer Rudolf Kriß setzte sich nun für Rasp ein. Er bat um eine milde Beurteilung und war damit erfolgreich. Rasp durfte wieder als Kunstmaler arbeiten und seine Geldsühne wurde erheblich reduziert. Kriß ging es dabei vor allem um das Schicksal seiner mittellosen Frau und der beiden 16 und 19 Jahre alten Kinder.

Fortan erhielt Rasp wieder Aufträge. U.a. entwarf er das Fastentuch in der Stiftskirche. Auch das Buch „Im Schatten des Hohen Göll“ erschien Mitte der 1950er-Jahre mit seinen Illustrationen. Der Autor Hanns Angerer widmete das Buch Rudolf Kriß.

Mathias Irlinger