Obersalzberg-Institut e.V. veröffentlichte erste Ergebnisse im Fall Aloisia V.

18.01.2005

Hitlers Großcousine wurde Opfer des NS-Regimes

Florian M. Beierl, Prof. Dr. Wolfgang Eisenmenger und Dr. Timothy W. Ryback vor der Akte Aloisia V.

 

(oi,18.01.2005) Fünf Monate lang arbeiteten Institutsleiter Dr. Timothy W. Ryback und Florian M. Beierl gemeinsam mit dem Rechtsmediziner Prof. Dr. Wolfgang Eisenmenger an der Lösung eines historischen Mordfalls. Gestern konnten nun durch die Patientenakte die letzten entscheidenden Beweise dafür geliefert werden, dass Adolf Hitlers Großcousine Aloisia V. am Freitag, den 6. Dezember 1940 im Rahmen des "Euthanasieprogramms" der Nazis in der Gaskammer der Tötungsanstalt Hartheim bei Linz/Oberösterreich ermordet worden war. Ein beklemmender Fall, der 64 Jahre lang unbekannt blieb, weil Angehörige der Geisteskranken den angeblich natürlichen Tod in der Wiener "Irrenanstalt" nie hinterfragt hatten. Laut den Unterlagen litt die 1891 geborene Tochter eines Finanzbeamten unter >>schizophrener Geistesstörung, mit Ratlosigkeit und Depression, Zerfahrenheit, Sinnestäuschungen und Wahnideen<<, so die Unterlagen.

Ausgelöst wurde die Recherche durch eine Reihe interessanter Dokumente, auf die man vor einigen Jahren gestoßen war: Erst Ende 1943 ermittelte die Gestapo offenbar im Auftrag Heinrich Himmlers zu Hitlers geisteskranker Verwandtschaft und fertigte einen detaillierten Bericht hierzu an. Er wurde als "Geheime Reichssache" eingestuft. Darin ist die Rede von der "idiotischen Nachkommenschaft" und "abnormalen Menschen" aus Hitlers väterlicher Linie, den Schicklgrubers. Die Nachforschungen des Obersalzberg Instituts e.V. und des Instituts für Rechtsmedizin in München belegen nun eindeutig, dass es in Hitlers Verwandtschaft väterlicherseits tatsächlich eine erbliche Geisteskrankheit gab, die sich mit nur wenigen Ausnahmen auf deren Abkömmlinge übertragen hatte. Der Münchner Rechtsmediziner Wolfgang Eisenmenger warnte aber, direkte Rückschlüsse auf Adolf Hitler zu ziehen. Dieser sei nicht schizophren gewesen. Dennoch: "In Stammbäumen, die so viele Erkrankungen wie die Familie der Aloisia V. aufweisen, ist es möglich, dass auch in den Seitenlinien abnorme Persönlichkeiten manchmal gehäuft auftreten", erklärte Eisenmenger vor der dpa in München. "Diese Akten führen uns mehr über Hitlers Verwandtschaft vor Augen, als wir je gewusst haben, mehr als Himmlers Gestapo damals wusste, und ganz sicher mehr, als Hitler selbst je darüber wissen wollte", kommentierte Institutsleiter Timothy Ryback.

Die während der Ermittlungen zu Aloisia V. entdeckten Akten der Wiener Anstalt für Geistes- und Nervenkranke "Am Steinhof" widerspiegeln in ihrer Tragik das komplette Ausmaß der Behandlung von "geistig Minderwertigen" durch das NS-Unrechtsregime. Sie eröffnen einen expliziten und schauerlichen Einblick in das jahrelange Leiden jener schizophrenen Großcousine zweiten Grades Adolf Hitlers, deren Vater auf Vermittlung seines Onkels Alois Hitler in die Finanz- und Zollwache eingetreten war. Manche Details, so Eisenmenger, kann man aus Gründen der Opferwürde nicht veröffentlichen, weil sie persönlichster Natur sind. Ob Teile der Akten überhaupt veröffentlicht werden dürfen, prüfen die Archivbehörden derzeit. Die Schutzfrist für personenbezogene Daten war jedenfalls zu wissenschaftlichen Zwecken in diesem Fall verkürzt worden, um die Recherchen überhaupt erst zu ermöglichen. "Durch die Zusammenführung verschiedener Dokumentenquellen kann die Rekonstruktion des Falls nun in einer verwunderlichen Genauigkeit erfolgen, das ist gerade in diesem speziellen Fall als eine historische Besonderheit anzusehen. Bis hin zur Abgabe der letzten persönlichen Gegenstände vor der Ermordung durch Kohlenmonoxidgas haben die Nazis alles schriftlich festgehalten, das ist schauerlich", meint Florian Beierl dazu.

Das Institut für Rechtsmedizin und das Obersalzberg Institut e.V. arbeiten nun gemeinsam an der Auswertung der Unterlagen. Ein detaillierter Bericht über die medizinische und historische Bedeutung der neuen Erkenntnisse soll der Öffentlichkeit in den nächsten Wochen vorgestellt werden. Die Münchener Dokumentarfilmproduktion Loopfilm begleitet die Recherchen in Zusammenarbeit mit dem ZDF.